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Kunst und Kultur zu Hohenaschau

Der Kunstverein Aschau

Harry Lehmann * zur Regionalisierung der Kunst
Aus dem Katalog zum 20jährigen Jubiläum


Ein Lieblingsthema der Kulturpolitik ist seit vielen Jahren die „Regionalisierung der Kunst”. In einer globalen Kunstszene der Biennalen, Messen und Museumsaustellungen, auf denen ein internationales Publikum ein- und ausfliegt, haftet allerdings jeder Kunst abseits von den Metropolen automatisch der Makel des Provinziellen an. Wenn man sich auf den Weg in den Kunstverein Aschau begibt, der sich auf halber Strecke zwischen München und Salzburg befindet, gewinnt man eine Vorstellung davon, wie eine derart in einer Region verwurzelte Kunstszene quasi aus dem Nichts entstehen und einen ganzen Landstrich prägen kann.

Zunächst war es äußerst unwahrscheinlich, dass gerade in Aschau ein Kunstverein entsteht. Der Ort war nicht weniger und nicht mehr als viele andere Orte in der Umgebung für ein solches Unterfangen prädestiniert, und man hätte nicht darauf wetten wollen, dass dieser Verein seine Gründung überleben und eine überregionale Ausstrahlungskraft gewinnen wird. Im Rückblick kann man den Erfolg des Kunstvereins als ein Zusammentreffen von mehreren glücklichen Fügungen sehen. Der Anlass selbst, der zur Gründung des Vereins vor zwanzig Jahren führte, war, wie so oft in solchen Fällen, profan und hatte mit einem gesteigerten Kunstinteresse wenig zu tun. Der Eigentümer suchte für das alte Amtshaus von Aschau eine passende Nutzung, d.h. ein gutes Abschreibemodell, und kam wohl eher aus diesen kunstfernen Motiven auf die Idee, einen gemeinnützigen Verein für die schönen Künste zu gründen.

Wäre es bei dieser Motivlage geblieben, dann hätte der Kunstverein die formale Existenz einer Karteileiche geführt und wäre nach ein paar Jahren, ohne Anteilnahme der Öffentlichkeit, wieder beerdigt worden. Die eigentliche Geburtsstunde des Kunstvereins bestand in einer Absprache. Die Gründungsmitglieder des Vereins wollten den ortsansässigen Maler Rudolph Distler zum Eintritt in den Verein bewegen, und dieser war aus einem elementaren Künstlerinstinkt heraus nur unter einer Bedingung dazu bereit: Dass er in Zukunft die Ausstellungen des Vereins kuratieren kann und bei allen künstlerischen und ästhetischen Entscheidungen freie Hand hat. Da wir heute ein Jubiläum begehen, dürfen wir an dieser Stelle emphatisch werden: Mit dieser Absprache gewann die Kunst, die in Aschau gezeigt werden sollte, ihre Autonomie.

Die Unabhängigkeit und das Engagement eines qualifizierten Kurators sprechen zwar dafür, dass man auch an einem entlegenen Ort gute Ausstellungen zu sehen bekommt, aber es ist keinesfalls eine Garantie dafür, dass sich in einem Dorf, wo der Trachtenverein und der Kirchenchor den Kulturbegriff definierte, auch ein interessiertes Publikum einfinden wird. Zwar gehört Aschau gewiss zu den wohlhabenderen Gegenden der Republik, wo viele Großstädter ihre Zweitwohnung haben und ein gewisses bürgerliches Kunstinteresse mitbringen dürften, aber dies allein erklärt nicht, wieso bei einer Ausstellungseröffnung bis zu 200 Besucher anreisen. Damit sich eine solche Selbstverständlichkeit im Umgang mit zeitgenössischer Kunst ausbildet, bedarf es auch eines Verständigungskontextes, den man an einem Ort wie Aschau nicht einfach voraussetzen kann, sondern der geschaffen werden muss. Diese Arbeit wurde von Klaus Jörg Schönmetzler, dem Kulturreferenten des Landkreises Rosenheim geleistet, der übrigens selbst nie Mitglied des Kunstvereins war, aber ohne den der Kunstverein ganz sicher nicht jenes Renommee und jene Reputation gewonnen hätte, welche dieser heute besitzt. Zu fast jeder Vernissage hielt er von Anbeginn an eine Einführungsrede und hat damit ganz wesentlich dazu beigetragen, dass sich die Werke der verschiedenen Künstler nicht beliebig aneinanderreihten, sondern in eine Interpretationsgeschichte treten. Auf diese Weise wurde der Kunstverein zu einem Ort der ästhetischen Bildung und gewann selbst eine eigene unverwechselbare Identität – mit der sich mit der Zeit auch ein Publikum identifizieren konnte, das mit der zeitgenössischen Malerei wenig vertraut war. Und um es noch einmal feierlich auszudrücken: In Gestalt von Schönmetzler fand die in Aschau präsentierte Kunst ihre Reflexivität.

Autonomie und Reflexivität sind sicherlich die zwei Grundbedingungen, damit sich eine regionale Kunstszene ausbilden kann, die nicht provinziell bleibt. Nur unter diesen Bedingungen lässt sich eine gewisse Unabhängigkeit, Eigenständigkeit und Originalität fernab von den Großstädten aufrechterhalten. Ob ein solches Unterfangen tatsächlich geglückt ist, lässt sich erst im Nachhinein beurteilen. Nach zwanzig Jahren Kunstverein Aschau kann man konstatieren, dass hier die gegenständliche Malerei gefördert wurde, als diese an den westdeutschen Kunstakademien verpönt und auf dem Kunstmarkt unverkäuflich war. Für diese Kunst war Aschau über Jahre hinweg ein Rückzugsort und ein Überlebensraum zugleich. Und als es vor einigen Jahren schließlich zu einer Renaissance der figurativen Malerei kam, zeigte man in Aschau die jüngsten Entwicklungen aus Leipzig, Berlin und München und vertrat in diesem Moment eine Position, die schon längst nicht mehr regional war.

* Harry Lehmann ist Philosoph und lebt in Berlin